Geschichte von Elmar

Hei,

mein Name ist Elmar Czech und ich wurde im Sommer 1973 in Wiesbaden geboren. Ich bin unter anderem Bluter. Bereits als Baby hatte ich schon einige schwere Blutungen und vor allem viele Beulen, deshalb wurde ich vom Kinderarzt 1975 an das Hämostasiologische Zentrum der Uniklinik Bonn überwiesen, da bekamen meine Eltern die Diagnose mitgeteilt.

 

Sie erfuhren dort, daß ich eine schwere Hämophilie A habe und wir wurden dann ein weiteres Jahr, teilweise per telefonischer Ferndiagnose von der Uniklinik in Bonn betreut.

1976/1977 bekamen meine Eltern von der DHG den Hinweis,dass es jetzt auch einen erfahrenen Hämostasiologen an der damals noch relativ neuen und nach dem Vorbild der amerikanischen Majo Klinik gegründeten Deutschen Klinik für Diagnostik (DKD) bei uns in Wiesbaden geben würde. Dort wurde ich dann weiter behandelt mit den auch erst Anfang der 70er Jahre auf den Markt gekommenen Gerinnungspräparaten, die wir bis dahin über Bonn bezogen hatten und die dann nach Rücksprache vom Kinderarzt i.v. injiziert worden sind.

 

Ab da war für mich die medizinische Betreuung natürlich wesentlich komfortabler und in einer Hand. Die Gerinnungspräparate waren natürlich ein Meilenstein in der medizinischen Entwicklung, da es nun erstmals für hämophile Patienten möglich war, je nach Körpergewicht und Schwere der Blutung, "normalhohe" Konzentrationen von Faktor VIII im Körper mit Hilfe einer relativ kleinen Menge von injiziertem Material zu erreichen. Davor, d.h. für ältere Hämophile, gab es ja nur die Möglichkeit der Vollblut- oder Vollplasmagabe, was natürlich nie zu einer ausreichenden Faktormenge im Körper führen konnte. Deshalb haben die älteren Hämophilen auch zusätzlich noch starke Schädigungen an Gelenken und der Muskulatur. Soweit sah für mich also erst mal alles ganz gut aus. Ich würde zwar mein Leben lang Hämophiler sein, aber bei ausreichender Behandlung und Verzicht auf einige verletzungsanfälligen Sportarten ein normales und auch normallanges Leben führen können. Zumindest, wenn ich die für Hämophile damals geltenden Einschränkungen beachten würde.

 

Was ich damals allerdings nicht wusste war, wie die Pharmaindustrie bei der Herstellung der Faktorenpräparate vorging. Zur Herstellung der Präparate wurden nämlich zuerst einmal große Plasmamengen gemischt. Jede Charge wurde aus mindestens 7200 Litern Blutplasma (was mindestens 15000 einzelnen Blutspendern entspricht) zusammen gestellt. Diese Einzelspenden wurden aus Kostengründen nicht weiter behandelt, also weder sterilisiert noch in einer anderen Form virusinaktiviert. Diese Reinigungsverfahren waren bereits in den 70er Jahren bekannt und einfach in der Anwendung. So wurde beispielsweise die Infektion von Hämophilen mit dem Hepatitis B Virus billigend in Kauf genommen. Dieser wurde zwar bei den meisten Hämophilen in der BRD nachgewiesen, provozierte aber meist nur eine relativ schwache Erkrankung. die meist auch noch selbst ausheilt oder auch wie bei mir in einer versteckten selbstausheilenden Variante. Ich möchte es an dieser Stelle noch mal ausdrücklich sagen:

 

Eine Virusübertragung von im Spenderblut befindlichen Viren war bereits zu Beginn der Herstellung und Zulassung von Gerinnungspräparaten in den verantwortlichen Stellen der Pharmakonzerne und der Regierung bekannt.  Und auch bei den erst in den frühen 80er Jahren bekannt gewordenen und klassifizierten HIV- und Hepatitis C - Viren wäre eine Reinigung möglich gewesen. Das hätte aber Kosten verursacht.

 

Somit wurden Erkrankungen billigend in Kauf genommen. Noch skandalöser: selbst nach dem Verbot der Herstellung nicht virusinaktivierten Präparate wurden die möglicherweise infizierten Präparate nicht umgehend zurückgezogen. Sie wurden weiterhin in der Herstellung, im Handel, in der Lagerung und in der Behandlung belassen. Teilweise wurden sogar Ärzte angewiesen, diese Präparate zu verabreichen, so dass sich selbst nach diesem Zeitpunkt noch zusätzliche Hämophile mit HIV, Hepatitis B und Hepatitis C infizieren konnten, die vorher noch das Glūck hatten, nur "saubere" Chargen zu erwischen. Dies kann nur durch Gewissenlosigkeit und Profitgier der zuständigen Verantwortlichen erklärt werde. Immerhin kostete 1 internationale Einheit (i.E.) Faktor VIII die Krankenkassen, und damit den Steuerzahler ca. 1 DM. Pro täglicher Injektion werden bei einem Baby mindestens 250 i.E. und bei einem Erwachsenen zwischen 2000 i.E. und 6000 i.E. benötigt.

 

1985 (ich war mittlerweile 12) wurde meinen Eltern von meinem behandelnden Arzt dann im Rahmen der Untersuchungen geraten, einen HIV Test zu machen, der auch positiv ausfiel. Die nächsten zwei Jahre, d.h. zwischen meinem 12. und 14. Lebensjahr, haben meine Eltern dann die Zeit damit verbracht, mich über HIV zu informieren und auf die Diagnose vorzubereiten. Mit 14 haben Sie mir dann die Diagnose mitgeteilt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich aus medizinischer Sicht eine Lebenserwartung von nur noch zwei bis drei Jahren. Kurz danach bekamen wir auch die Wahl von der Pharmaindustrie, uns entweder mit einer pauschalen Abfindung noch unbekannter Höhe abfinden zu lassen und damit alle Ansprüche gegenüber den Pharmafirmen aufzugeben (ausgehend von der geringen Restlebenserwartung) oder aber die Möglichkeit der Einzelklage zu beschreiten. Von einer Einzelklage wurde uns aus dem Grund abgeraten, daß mein erster HIV Test bereits positiv verlaufen war, mir aber als Kind Präparate von verschiedenen Pharmafirmen verabreicht worden waren und somit kein Kausalzusammenhang zu einem bestimmten Pharmaunternehmen nachvollziehbar und beweisbar sei.

 

Also akzeptierten meine Eltern die pauschale Abfindung, die sich auf 60.000 DM belief und für die letzten zwei Lebensjahre gedacht war. Es ist dabei noch zu bedenken, dass wir hier von der Zeit 1987 sprechen, in der das erste HIV Medikament Retrovir (AZT) im März in den USA zugelassen wurde und man von einer Lebenserwartung von etwa 4 Jahren (2 Jahre Inkubationszeit bis zum ersten Ausbruch von Aids und danach maximal 2 weitere Jahre) ausging. In der Bevölkerung bestand zu diesem Zeitpunkt eine nahezu panische Angst vor HIV und Aids, die Übertragungswege des HI-Virus waren noch nicht abschließend untersucht und HIV/Aids wurde in der Presse mehrheitlich als "Schwulenseuche" behandelt. Aus diesem Grund wurde mir und meinen Eltern auch von den behandelnden Ärzten nahegelegt, die Infektion im "normalen Leben" geheim zu halten um Ausgrenzungen zu vermeiden. Nun lebte ich also bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr mit der schwierigen Diagnose, dass Aids jederzeit ausbrechen könnte und der damit verbundenen Prognose, dann nicht mehr länger als maximal 2 Jahre zu leben. Und auch mit der Angst davor, "entdeckt" zu werden. Zum Beispiel in der Schule, wo ja alle wussten, dass ich Hämophiler bin. Auch musste ich irgendwie auf die damals in den Schulen verbreiteten Aidswitze reagieren bzw. nicht reagieren, mit den schweren Nebenwirkungen von Medikamenten kämpfen, und natürlich auch die Pupertät ohne sexuelle Kontakte überstehen. Ich hatte damals für mich beschlossen, erstens die HIV-Infektion zu verschweigen, aber sollte mir jemals die direkte Frage nach einer Infektion gestellt werden, diese auch ehrlich mit ja zu beantworten. Und zweitens mit Freundinnen keinen Kontakt unter der Gürtellinie zu haben solange ich ihnen nicht sagen konnte, dass ich HIV habe.

 

Mit 18 Jahren bekam ich dann von einer damaligen Freundin zum ersten Mal die direkte Frage nach HIV gestellt, wodurch ich mich auch dann zu meinem  (HIV)-Outing im Freundeskreis entschloss. Glücklicherweise bestand zu diesem Zeitpunkt ein schon guter Aufklärungsstand über die Ansteckungsmöglichkeiten und Risiken von HIV so dass mein Outing größtenteils gut aufgenommen wurde.

Nachdem der Blut-Aidsskandal schon seit Anfang der 80er Jahre durch die Medien ging und der Druck der Medien und generell immer mehr wuchs, wurde 1995 vom damaligen Bundesgesundheitsminister Seehofer eine sogenannte Humanitäre Soforthilfe und dann das sogenannte HIV Hilfegesetz in Kraft gesetzt.

 

Nach dem Abitur habe ich dann einige Jahre katholische Theologie an der Uni studiert dann aber zum Studium der Sozialen Arbeit an der FH gewechselt. Dort habe ich mich bereits in den ersten Semestern für den Schwerpunkt Drogenarbeit und Suchthilfe entschieden. Im Rahmen eines Praktikums im niedrigschwelligen Bereich der Suchthilfe Frankfurt habe ich dann zur arbeitsrechtlichen Abfindung nochmals einen Hepatitis C-Test gemacht der wider Erwarten positiv ausfiel. Über die Kontrolle aller Laborwerte im PC fanden mein Arzt und ich dann heraus, dass es bereits in den 90er Jahren einen positiven Hepatitis C-Test gegeben hatte,der aber leider nicht in die Akte kam. Somit war ich bereits, ohne es zu wissen, seit den 80er Jahren auch mit Hepatitis C infiziert und das erklärte dann auch die bereits bestehende starke Leberschädigung.

 

Die Suche nach einem Arbeitsplatz fürs Anerkennungsjahr gestaltete sich dann nach Abschluss des Studiums als sehr schwierig, da ich mit meinen Diagnosen im Vorstellungsgespräch offen umging und aufgrund der Diagnosen häufig abgelehnt wurde, was mehrere Arbeitgeber auch offen aussprachen. Erst als ich wieder beschloss, die Diagnosen im Vorstellungsgespräch nicht zu erwähnen, konnte ich einen Anerkennungsplatz finden. Aufgrund der persönlichen Erfahrung im Anerkennungjahr beschloss ich dann aber wieder, in der Arbeitsplatzsuche offen mit den Diagnosen umzugehen und fand schließlich eine Vollzeitstelle in der Drogenberatung in Frankfurt. Dort arbeitete ich als Drogenberater von 2007-2012. Im Frühjahr 2012 waren die physischen und psychischen Belastungen, verbunden mit einer mittlerweile aufgetretenen schweren Depression so gross, dass ich schließlich nach einem längeren Klinikaufenthalt erwerbsgemindert berentet worden bin. In diesem Zeitraum hatte ich auch zwei erfolglose Interferon/Ribavirin-Therapien meiner Hepatitis C-Infektion und mittlerweile auch eine ausgeprägte Leberzirrhose mit den dazugehörigen Krankheitsbildern. 2012 konnte mit der Neueinführung und einer Studie an der Universitätsklinik Frankfurt von Daclatasvir zumindest die Infektion mit Hepatitis C ausgeheilt werden. Die Leberzirrhose bleibt natürlich ungeachtet dessen weiterbestehen. Das Wort „Organspende“ steht im Raum.

 

In Bezug auf die Infektion mit Hepatitis C ist noch zu sagen, dass die durch Blutprodukte Infizierten in den letzten 30 Jahren weder eine Abfindung der Pharmaindustrie bekommen haben noch in irgendeiner anderen Form unterstützt oder entschädigt wurden. Und das, obwohl hier der von der Bundesregierung im Rahmen des HIV-Hilfegesetzes angefertigte Untersuchungsbericht zu demselben Schluss kam wie bei der HIV-Infektion und umgehend eine Lösung und Klärung dieser Fälle entsprechend dem HIV Hilfegesetz fordert.

 

Mit freundlichen Grüßen und Dank für die Zeit zum Lesen,

Euer Elmar

 

 

Bericht in der Hessenschau im Februar 2017


Auf der Gründungsversammlung unseres Vereins wurde ich auch zum 4. Vereinsvorsitzenden gewählt.

Ich würde mich sehr Freuen wenn Ich Euch bei Euren Fragen Rund um die HIV und Hepatitis-C Infektion

sowie dass Leben damit unterstützen und Helfen kann.

Ihr könnt mich über die Telefonnummer des Vorstandes von Nachmittags bis Spät am Abend gerne erreichen!

Mit Lieben Grüßenl

Euer Elmar

 

Elmar.Czech@nochleben.de

 

Elmar ist am 31.12.2019 in der Uniklinik Mainz verstorben.

 

Der Zustand seiner Leber hatte sich im Laufe des Jahres 2019 zunehmend verschlechtert. Er litt zuletzt an stark beeinträchtigenden Symptomen als Folge der immer schlechter werdenden Leberfunktion. Im Oktober wurde er auf die Transplantationsliste gesetzt und wartete seitdem auf eine Spenderleber. Zur Vorbereitung auf die Lebertransplatation wurden seine Nasenpolypen entfernt. In der Folge dieser Operation kam es zu einer starken Blutung die lange nicht zum Stehen kam. In der Klinik bekam er eine Pneumonie und schließlich rutschte er ins Nierenversagen und fiel ins Koma. Leider ist Elmar aus dem Koma nicht mehr erwacht.

 

Du hattest noch so Vieles vor und wirst uns sehr fehlen!

Jürgen