Hartmut H. aus S.

3. Mai 2017


Offener Brief an die
Abgeordneten des Deutschen Bundestages


Änderungen am HIV-Hilfegesetz (HIVHG)

 


Sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages,


ich freue mich sehr, dass wohl alle Fraktionen des Deutschen Bundestages eine Änderung des HIVHG beschließen wollen, auch wenn ich kein Geld aus der Stiftung „Humanitäre Hilfe“ bekomme. Obwohl, ich glaube erst an Änderungen, wenn das Gesetz veröffentlicht ist. Warum, das verstehen Sie sicher wenn Sie meinen Brief bis zum Ende lesen.


In zahlreichen Presseerklärungen heißt es nun „die Opfer des Blutskandals können hoffen“, „Es gibt Planungssicherheit für die Betroffenen“ oder ähnliche Formulierungen. Allerdings enthalten alle Formulierungen für mich einen entscheidenden Fehler: Zutreffend sind die evtl. Änderungen nach meinen Informationen nur für die Personen, die vor dem 1.1.1988 durch Blut oder Blutprodukte mit dem HI-Virus infiziert wurden. Bin ich also kein Opfer des Blutskandals, weil mir das Virus erst 1989 mit einem Faktor IX Präparat verabreicht wurde? Bin ich kein Opfer des Blutskandals und von den Leistungen des HIVHG ausgeschlossen, weil ich „meinen“ Pharma-Hersteller einschließlich der Chargen-Nr. kannte? Wo genau liegt da mein Vorteil?


Es gab und gibt immer wieder Stimmen, die meinen, ich (und die weiteren mir bekannten zehn Betroffenen) hätten 1990 ja ganz andere juristische Möglichkeiten gehabt. Glauben Sie das auch? Ich kann Ihnen sagen, wir hatten sie nicht. Ja, ich habe ein paar DM mehr als Entschädigung bekommen, aber mir hat die Versicherung „meines“ Pharmaherstellers“ genau denselben Mist erzählt wie den früheren Opfern: „Wir sind ja hier nicht in den USA, wir müssen uns an das deutsche Recht halten, es ist entscheidend, wie lange Sie noch leben. Sie haben leider ja nur noch drei, vier Jahre…, aber wir meinen es gut mit Ihnen, wir rechnen beim Schmerzensgeld zu Ihren Gunsten mit 10 oder 12 Jahren. Moment, Schmerzensgeld für ein 9-jähriges Kind, das geht ja gar nicht, wo sind denn da die Schmerzen? Das Kind begreift ja erst in der Pubertät, dass es krank ist, da lebt es gar nicht mehr.“ Glauben Sie nicht? Ich zeige Ihnen gerne mein handschriftliches Gedächtnisprotokoll von 1990 über eine Verhandlung mit der Haftpflichtversicherung „meines“ Pharmaherstellers. Noch ein Beispiel? „Was wir auf jeden Fall bezahlen, sind die Beerdigungskosten, das ist kein Thema. Sie sind mit unserem Angebot nicht einverstanden? Ja gut, mir müssen die Entschädigung ja nicht kapitalisieren, wir zahlen Ihnen eine kleine monatliche Rente. Sie können ja klagen, aber denken Sie daran, Sie haben ja nur noch drei oder vier Jahre!“ Glauben Sie nicht? Ich kopiere Ihnen gerne mein Gedächtnisprotokoll.


Sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages,
was war 1990 die Alternative? Sich als HIV-positiver Bluter zu outen, der als Sachbearbeiter im Sozialamt einer Kleinstadt arbeitet, verheiratet ist und zwei Kinder im Grundschulalter hat? 1990, das war die Zeit, wenn man zu einem Zahnarzt ging, da kam der ins Stottern beim Lesen von HIV und Hepatitis. Man wäre doch in der Klinik-Ambulanz bestimmt besser aufgehoben, er müsse nach meiner Behandlung ja die halbe Praxis desinfizieren. Und außerdem habe er ja auch Verantwortung für sein Personal. 1990, das war die Zeit, wenn man in eine Reha wollte, da sagte der Arzt, man müsse erst mal eine Einrichtung finden, die unsereins aufnimmt. 1990, das war die Zeit, wenn man dann tatsächlich in der Reha angekommen war, da diskutierte man dort gerade darüber, ob es verantwortbar wäre, wenn wir das Schwimmbad gemeinsam mit den anderen Patienten nutzen würden.

 

Die Öffentlichkeit zu mobilisieren, um eine bessere Verhandlungsposition zu bekommen? Das glauben Sie bestimmt nicht wirklich. Für das Thema interessierte sich damals die Medienlandschaft herzlich wenig, höchstens ein Horrorbericht über Aids in Bild & Co. Die Infizierungen „meines“ Pharmaunternehmens schafften es im April 1990 gerade mal zu einer Meldung in der Tagesschau, das war’s. Wenigstens der Spiegel brachte eine ganze Seite: Praktisch blind – sind die Kontrollen der Blutkonserven zu lasch? Die öffentlich-rechtlichen Magazine, die waren alle nicht wirklich interessiert. Da Einzige was noch ging waren die Privaten wie „Akut“ von SAT 1. Man brachte die Kinder zu Freunden und die Magazine-Macher kamen mit einem neutralen PKW, einer Kamera und einer Leuchte, hatten keinerlei Ahnung um was es ging, aber waren voll Elan dabei. Wichtig war auch, voll im Gegenlicht zu sitzen, damit einen auch niemand erkennt und man sich unterschreiben lässt, ein Interview gibt es nur, wenn auch gesendet wird. Was es gebracht hat? Nicht wirklich was, keiner wollte diese Sau durchs Dorf treiben.


Also hoffen, was der Staatsanwalt meint? Alles ist ganz normal gelaufen, keiner war schuld, war alles nur ein blöder Unfall, kann ja mal passieren. Glauben Sie nicht? Ich auch nicht aber der Staatsanwalt, der hat’s geglaubt, Deckel zu, Verfahren eingestellt. Und dann, endlich, endlich, 1993 wurde ein Untersuchungsausschuss im Bundestag beschlossen. Der Witz dabei ist, da war „mein“ Pharmaunternehmen nicht ganz unbeteiligt, immerhin erzählte das BGA dem Minister Seehofer auch „nach 1985 hätte es keine Infektionen mehr gegeben, lediglich 1990 11 Verdachtsfälle eines bestimmten PPSB Konzentrates einer bestimmten Charge“. Und warum nochmal wurde das BGA aufgelöst? Wenn man als Betroffener unter „1.1 Die Vorgeschichte“ den Bericht des Untersuchungsausschusses noch mal liest, man kann es auch heute noch kaum glauben. Als es am Ende des Ausschusses den Vorschlag gab, eine gesetzliche Regelung solle dafür sorgen, dass die Opfer über eine Stiftung Zahlungen erhalten, da glaubte auch ich noch, es gäbe ein klein bisschen Gerechtigkeit, die Zukunftssorgen würden weniger. Doch entgegen der Empfehlung des Ausschusses - der plädierte nämlich dafür „die Entschädigung soll für alle HIV-Opfer von Blut und Blutprodukten offenstehen, die vor dem Zeitpunkt infiziert wurden; zu dem die von der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag in der 12. Wahlperiode (Anm. von mir: 20.12.1990 bis 10.11.1994) ergriffenen Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit von Blut und Blutprodukten umgesetzt worden sind“ - tauchte auf einmal im Gesetzestext ein für mich absolut unverständliches Datum auf: Anspruchsberechtigt sind nur Personen, die vor dem 1.1.1988 infiziert wurden. Ich habe damals nochmals den gesamten Bericht durchgeackert, aber weit und breit keinen Hinweis auf dieses ominöse Datum gefunden. Wissen Sie, woher dieses Datum kommt und wer es reingeschrieben hat? Ich nicht, aber Sie können ja mal Ihre Kollegen von damals befragen. Jedenfalls muss man sowas erst einmal verdauen und insgeheim hatte ich da schon meine Zweifel, ob es in unserem Staat wirklich so gerecht zugeht.


Aber ich hatte ja etwas mehr DM bekommen, da muss eben eine Klage her. Und ein paar 1000 DM brauchen Sie schon:. In einem Rechtsstreit mit dem Gesetzgeber hilft Ihnen keine Versicherung. Also auf zum Verwaltungsgericht in Köln - an einem der ersten Verhandlungstage war ich persönlich anwesend. In der Pause sagte mir eine der Richterinnen: „Wegen dem Datum brauchen Sie gar keine Angst zu haben, das Gesetz strotzt nur so von Verfassungswidrigkeiten.“ Sie werden es ahnen: Von diesem Pausengespräch fand sich im abschließenden Urteil leider nichts mehr wieder, totale Niederlage. Aber als ordentlicher Staatsbürger glaubt man ja an das Gute, das Verfassungsgericht. Das wird diese schreiende Ungerechtigkeit doch wieder zurechtbiegen. Die interessierte aber nicht, dass ja schon drei von den vier prognostizierten (Noch)-Jahren vorbei waren, Eilbedürftigkeit sei nicht gegeben, man solle ruhig mal durch alle Instanzen klagen und dann zu ihnen kommen. Also weiter Geld in die Hand nehmen, durch alle Instanzen verloren und endlich, endlich, jetzt geht’s zum Bundesverfassungsgericht. Glauben Sie? Dann liegen Sie aber falsch, das Verfassungsgericht hatte kein Bedürfnis, unser Anliegen zu prüfen, es muss sich auch nicht damit befassen, braucht dafür sogar keine Begründung anzugeben. Das mit der Gerechtigkeit in unserem Staat, glaube ich, habe ich oben schon erwähnt. Und dass mein persönliches Verständnis für die Justiz inzwischen mehr als nur leicht gestört war, werden Sie mir wohl nachsehen. Immerhin wussten wir zum damaligen Zeitpunkt doch schon, wir leben länger als drei, vier Jahre. Das ist doch auch schon was. Ich bin also anscheinend kein Opfer des Blutskandals, sondern ein Opfer sowohl der zu späten als auch der zu frühen Infizierung. Zu spät um Leistungen des HIVHG zu bekommen und zu früh, um von „meinem“ Pharmaunternehmen eine adäquate Leistung fordern zu können.

 

So um 2005 haben wir dann mal zaghaft angefangen, von „unserem“ Pharmaunternehmen auch eine monatliche Unterstützung zu verlangen. Da hat ein früherer Vorsitzender eines Hämophilie-Verbandes lange, lange verhandelt. Wir hätten das gerne auch selbst getan, aber mit uns Betroffenen lehnte „unser“ Pharmaunternehmen einen direkten Kontakt ab. Für uns aber war nicht akzeptabel, dass „unser“ Pharmahersteller sowas von billig davonkam. Kein Staatsanwalt war hinter ihm her, und während die anderen Pharmaunternehmen Millionen in die Stiftung zahlen mussten, sah die Rechnung bei „unserem“ so aus: Gezahlt hat lediglich die Haftpflichtversicherung und das war‘s auch schon, vielleicht ist die Prämie etwas teurer geworden. Letztendlich 2012, nach jahrelangem zähen Kampf, fast 20 Jahre nach dem HIVHG, zahlte eine Stiftung mit Geldern „meines“ Pharmaunternehmens, aber natürlich vollkommen unabhängig von diesem, und noch natürlich „freiwillig“ eine monatliche Unterstützung von 500 € unter der „Voraussetzung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit maximal für 10 Jahre“. Warum 10 Jahre? Weil man ausgerechnet hatte, dass die Stiftung „Humanitäre Hilfe“ dann auch keine Mittel mehr hätte und länger als die wollte man schließlich nicht zahlen. Und warum 500 €? Weil man nur für den Teil der Pharmaunternehmen zuständig sei, die hätten insgesamt rund 1/3 der staatlichen Stiftung finanziert und 500 sei eben ein Drittel der Höchstzahlungen von rd. 1.500 €. Wo ich diese Logik herhabe? Hat man mir leider nicht schriftlich gegeben, weiß ich nur vom Hörensagen.


Sie glauben wohl, dass „mein“ Pharmaunternehmen da doch mal wirkliche eine moralische Verpflichtung gezeigt habe? Weit gefehlt, die haben ja nicht mal die juristische übernommen. Die Feststellung des Untersuchungsausschusses S. 426, Zeile 19-21: („Durch medizinische Gutachten ist nachgewiesen, daß die o.a. HIV Infektionen über diese Charge erfolgten.“), diese Aussage ist falsch, sagt „mein“ Pharmaunternehmen. Was jetzt kommt, muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: „Richtig ist: Es gibt kein medizinisches Gutachten darüber, daß die HIV-Infektionen mit der PPSB-Charge 160 10 89 erfolgten. Diese Möglichkeit war auch gar nicht gegeben, da in der PPSB-Charge 160 10 89 kein HIV nachgewiesen wurde. Auch wenn keine absolute Kausalität zwischen der Charge 160 10 89 und den HIV-Serokonversionen hergestellt werden konnte, ist Biotest dem Anscheinsbeweis eines Zusammenhanges zwischen HIV-Serokonversionen von mit dieser Charge behandelten Patienten nicht entgegengetreten.“ Glauben Sie nicht? Können Sie wortwörtlich so nachlesen, im Bericht des Untersuchungsausschusses, Drucksache 12/8591, Seite 622, unter Punkt 5.3.2.1 Biotest Pharma GmbH, 5.3.2.1.3 Auszug aus der Stellungnahme. Ja, ja so sind sie halt, die juristischen Feinheiten. Und was bedeutet das für mich? Bin ich jetzt infiziert oder nicht? Oder hat einfach nur noch keiner behauptet, ich habe kein HIV? Ohje, da wird mir ganz schwindelig. Und eins ist klar: Man braucht schon jede Menge Galgenhumor, um auch noch 30 Jahre nach dem Blutskandal zu (über)leben.


Sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages,
was ganz und gar aber mit Humor absolut nichts zu tun hat, ist Ihre Entscheidung, wie sie das HIVHG ändern. Belassen Sie es bei dem Datum 1.1.1988? Dann sollte Ihnen aber auch klar sein, dass Sie mich damit nicht nur 1994 von den Leistungen dieses Gesetzes ausgeschlossen haben. Da der Bund zukünftig die Leistungen alleine übernimmt, kann „meine“ Pharmaunternehmen 2022 behaupten: „Es gibt keinen Anteil der Pharmaunternehmen mehr, also sehen wir keinen Grund mehr für weitere Zahlungen.“ Derzeit kämpft „mein“ Pharmaunternehmen gerade wieder mit einer Rückruf-Aktion und soll eventuell von einem chinesischen Investor übernommen werden. Glauben Sie, den interessiert, was 1989 passiert ist? Da ist es auch gut möglich, dass schon vor 2021 die Zahlungen eingestellt werden, Sie wissen ja „unter Voraussetzung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit… und maximal 10 Jahre“. Wenn das Datum so bestehen bleibt, dann haben Sie mir gleich zweimal Ihr Gesetz im wahrsten Sinne des Wortes „um die Ohren geschlagen“.
Sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages,
Sie können aber auch das Datum streichen oder verändern!


Mit freundlichen Grüßen

Hartmut H. aus S.