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Unsere Lebenssituation

Heute ist alles anders, aber leider nicht besser

 

 Eigentlich müsste es uns gut gehen!

 

24 Jahre HIVHG[1] (Human Immun Deficiency Virus Hilfs Gesetz) und fast 31 Jahre nach dem Blutskandal, bei dem in Deutschland mehrere tausend Menschen mit verunreinigtem Blut und auf Plasma basierenden Medikamenten mit damals tödlichen Viren infiziert wurden, ist vieles passiert. Leider nicht unbedingt immer zum Besseren. Die Überlebenden kämpfen immer noch mit vielen Schwierigkeiten.


[1]http://www.gesetze-im-internet.de/hivhg/

HCV ist ein Thema, welches bis heute kaum Aufmerksamkeit bekommen hat und nie entschädigt wurde. Die Forderungen sind klar: Anpassung der Rente, ein angemessener und respektvoller Umgang, Entschuldigung durch die Verantwortlichen (Pharmakonzerne und DRK) bei den Opfern, ausreichende Unterstützung um ein neues Leben zu gestalten bzw. sich von einem Leben mit vielen Beeinträchtigungen nicht erdrücken zu lassen. Abschaffung der zwei verschiedenen Rentenhöhen bei „HIV-Infizierten“ und „AIDS-Kranken“. Anerkennung der Opfer auch nach dem Stichtag 1.1.1988. Endlich eine Entschädigung für die Ko-Infektionen mit anderen Erregern (HCV/HBV etc.) aufgrund der gleichen verunreinigten Blutprodukte. Doch betrachten wir die Geschichte der „Aufarbeitung“ und der Eckpunkte genauer:

 

Damals bis Heute

 

Seit 1996 gibt es mit HAART[1] (highly active antiretroviral therapy) eine sehr erfolgreiche Therapie. Diese führte aber bei den Betroffenen zu ganz neuen Herausforderungen. Heute stehen wir vor der Situation, dass viele der in den 80er Jahren Infizierten das letzte Lebensdrittel erreichen. Das HIVHG mit seinen Grundsätzen wurde 1994 vor dem Hintergrund der Annahme verabschiedet, dass die Opfer nur 5 bis 7 Jahre überleben, da es damals keine nachhaltigen Therapieansätze gab. Viele Infizierte sind verstorben, aber nicht wie damals angenommen bis 2002. Auf diesem Bewusstsein basierte offensichtlich auch die lange Weigerung zur Nachbesserung des Gesetzes. Heute, 2019, leben, laut letzter Aussage der Bundesregierung vom Januar, noch über 500 Betroffene, also knapp ein Drittel der HIV-Infizierten Opfer. Der größte Teil davon ist älter als 55 Jahre und setzt sich mit den chronischen primären und sekundären Folgen der Infektion auseinander. Diejenigen, die als Kinder infiziert wurden, sind heute Anfang bis Mitte 40 und viele von ihnen stehen vor der Aufgabe, eine familiäre und berufliche Perspektive für ihr Leben zu entwickeln. Doch als sie im Alter für die eine eigene Lebensplanung waren, hatten sie andere Themen. Ein angstvolles „Morgen könnte ich sterben“ und in der Folge ein Leben von Tag zu Tag, war die Grundhaltung, in der sich viele mit ihren seelischen Narben verfangen haben.

 

Die heutigen Perspektiven für einen Teil der Opfer sind vor dem Hintergrund des Skandals schlicht menschenunwürdig: Rente und AGL II! Falls jemand heute auf die Idee kommt, sein Leben gestalten zu wollen und eine Ausbildung oder ein Studium anzufangen, tun sich neue Probleme auf. Meist fällt AGL II weg, und gerade diejenigen, die gemäß HIVHG nur den halben Betrag in Höhe von 766,94 € als Rente beziehen, sind dann sofort in finanziellen Schwierigkeiten. Für BAföG sind sie zu alt. Somit sind auch die ca. 1500,-€ für die „an AIDS erkrankten“ nur bedingt ausreichend. Eine reguläre Ausbildung ist in der Situation schwierig: Fehlzeiten, körperliche Einschränkungen, lückenhafter Lebenslauf und Angst vor Ablehnung aufgrund der Erkrankung spielen eine große Bedeutung. Auch Stipendien sind aufgrund der Biografien nicht erreichbar.

 

Die Einteilung in „HIV-positiv“ und „an AIDS erkrankt“ ist nach den langen Infektionszeiten, zum Teil ohne Behandlung bzw. den schweren Nebenwirkungen der ersten Behandlungsformen, heute völlig überholt. Die Situation aller Infizierten ist nach 40 Jahren leben mit HIV und den Langzeitfolgen sowie chronischen Medikamentennebenwirkungen[2] geprägt durch den Langzeitverlauf[3].

 

Die aus dieser Situation resultierende psychische Belastung der Überlebenden ist enorm. Depressionen, posttraumatische Belastungssyndrome und Angststörungen sind weitverbreitet. Die meisten Infizierten sind durch eine generelle Verunsicherung und geschwächtes Selbstvertrauen belastet[4]. 

 

Fast 40 Jahre nach dem ersten Auftreten der HIV Infektion erleben HIV-Infizierte in der Bevölkerung immer noch Ausgrenzung, Angst und Vorurteile, wobei auch Selbst-Stigmatisierung eine Rolle spielt. Immerhin betrachten viele Menschen HIV immer noch als Todesurteil – und manchmal als Quittung für ein unmoralisches Leben. Diese Meinung ändert sich nur langsam. Bei vielen Mitmenschen bestehen immer noch die Klischees der 80er und 90er Jahre. Die Bereitschaft zu einer Auseinandersetzung mit diesen Vorurteilen ist auch bei den Betroffenen, u. a. aus Gründen des Selbstschutzes gering[5].

 

Leider gehen auch die Hämophilie-Verbände lieber in die Vermeidung. Ein wirkliches Aufarbeiten des Themas findet bis heute nicht statt. Der Grund dafür ist so banal wie zynisch: Eine direkte Assoziierung zwischen der Bluterkrankheit und AIDS in der Öffentlichkeit ist bei den Selbsthilfeverbänden nicht erwünscht. Dies war nicht zuletzt ein Grund für die Gründung des VOB e.V.. Die Betroffenen selbst haben oft aus Angst und eigenen Ressentiments Schwierigkeiten, die Angebote der AIDS-Hilfen zu nutzen. Und die Hinterbliebenen/Lebenspartner/Kinder? Sie wurden und werden mit ihren Themen völlig alleine gelassen.

 

Der Stichtag, um überhaupt Hilfen des HIVHG in Anspruch nehmen zu können, war eine Infektion vor dem 1.1.1988. Doch es gab später den BIOTEST Skandal und es sind Fälle bis spät in die 2010er durch verunreinigte Chargen an Plasma und Blutkonserven dokumentiert. Nach 1994 zwar extrem selten, aber trotzdem existent. Diese Menschen sind heute völlig auf sich gestellt. Doch das HIVHG könnte hier leicht die nötige Absicherung für diese Opfer schaffen um ein normales Leben trotz Infektion zu führen.

 

Was bleibt zu tun

 

Ab 2019 übernimmt der Bund die volle Last der Rente für die Betroffenen. Die Bundesländer, DRK und die stiftenden Pharmaunternehmen sind aus ihrer Verantwortung entlassen worden, haben aber noch ihren Sitz im Stiftungsrat, dem Verwaltungsgremium der Stiftung, zuständig für die Verwaltung der Gelder. Ein seltsamer Umstand, da die Betroffenen immer noch keine direkte Vertretung in diesen Gremien haben. Was dem schon 1994 von der BRD unterzeichneten GIPA-Prinzip[6] widerspricht.

 

2017 entstand aus der „Blutskandal-Kampagne“ der „Verband der Opfer des Blutskandals e. V.[7] (VOB)“. Der erste Selbsthilfeverband, der sich ausschließlich für die Interessenvertretung der infizierten Opfer des Blutskandals und deren Angehörige, einsetzt. Der Vorstand des Verbandes besteht satzungsgemäß ausschließlich aus Betroffenen.  Auch war der VOB e.V. bereits maßgeblich an der Realisierung der Änderung des §16 HIVHG beteiligt.

 

Auch heute ist leider immer noch sehr viel zu tun: Die Rentenzahlungen müssen endlich für alle Leistungsempfänger auf ein Niveau angehoben werden, welches ihren heutigen und zukünftigen Anforderung Rechnung trägt. Für die nur ca. 15% der Leistungsempfänger, die eine reduzierte Rente erhalten, muss rasch die Anpassung auf die volle Rente erfolgen. Ebenso muss endlich die in den letzten 24 Jahren nicht vorgenommene Inflationsanpassung und der damit verbundene Kaufkraftverlust der Renten von 28,6% ausgeglichen werden. Mit Blick auf das Contergan-Hilfegesetz verweisen die Leistungsempfänger des HIVHG auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des AGG (Allgemeines Gleichstellungsgesetz). Die Hilfen an die Contergan Opfer wurden regelmäßig dynamisiert und an die Erfordernisse der chronisch kranken Menschen angepasst. 24 Jahre nach dem Inkrafttreten des HIVHG trägt nach mehreren Nachstiftungen und oft nur widerwilliger Bereitschaft der bisher verpflichteten Zustifter nun der Bund alleine die Rentenzahlungen für die Betroffenen.

 

Was bleibt, ist eine finanzielle, soziale und gesundheitliche Situation, in der die Betroffenen immer noch sehr schlecht aufgestellt sind. 2014 wurde eine, von der Stiftung beauftragte und von Prognos AG durchgeführte Studie[8] veröffentlicht. Hier wurde dargelegt, dass die Lage der Opfer äußerst kritisch ist und dringender Handlungsbedarf besteht. Vier Jahre später nun bewertet die Regierung (BT-19/7168) auf Anfrage der FDP die Situation wie folgt[9]:

 
„(…)Da die Leistungen der Stiftung einkommenssteuerfrei sind und weder auf andere Leistungen aus öffentlichen Mitteln angerechnet noch bei der Ermittlung von Einkommen und Vermögen berücksichtigt werden, sieht die Bundesregierung die aktuelle Leistung durch die Stiftung, auch vor dem Hintergrund der zukünftigen Dynamisierung, als ausreichend an.(…)“.

 

In dem gleichen Text verweist die Bundesregierung in Bezug auf die Lage der Betroffenen auf die Studie der Prognos AG. Dort heißt es in der Zusammenfassung:

 „(…) Der seit Beginn der Zahlungen im Jahr 1995 ausgebliebene Inflationsausgleich sollte bei der Bemessung der finanziellen Ausstattung der Stiftung ebenfalls berücksichtigt und eine entsprechende Erhöhung der Zahlbeträge vorgesehen werden. Nur so kann dem betroffenen Personenkreis eine dem Stiftungszweck entsprechende, angemessene und verlässliche humanitäre Hilfe zuteilwerden.(…)[10]

 

Beide Aussagen stehen sich diametral gegenüber, werden aber als Argumente im gleichen Schreiben aufgeführt. Dies ist ein typisches Beispiel für das Vorgehen in der Politik rund um den Skandal und dessen Opfer.

 

Die HCV-Koinfektionen, die nach der Prognos Studie 90% der Opfer erleiden mussten, ist bis heute kein Gegenstand des Interesses. Das ist unverständlich, kam doch der 1994/95 eingesetzte Parlamentarische Untersuchungsausschuss[11] zum Ergebnis, dass nicht nur von einer HIV-, sondern generell von einer Kontamination mit Erregern von etlichen Chargen an Plasma zu sprechen sei. Die Folgen und Schäden aus diesem Aspekt des Skandals werden aber bis heute nicht näher betrachtet. Eine Entschädigung der Hepatitis-Opfer fand bis heute nicht statt. Die Ergebnisse des parlamentarischen Untersuchungsausschusses haben keinerlei Konsequenzen nach sich gezogen, zumal durch die zeitliche Diskrepanz zwischen Untersuchung und Tatbestand/Kenntnisnahme mehrere Jahre vergangen waren. Das wertete der Ausschuss ebenfalls als klares Versäumnis der zuständigen Behörden.

 

Heute sollten sich die politischen Verantwortlichen im BMG endlich den Aufgaben der aktuellen Situation stellen. Es braucht einen nachhaltigen Plan, um für die Betroffenen eine menschenwürdige Lebenssituation und dauerhafte Sicherheit zu schaffen, ja, ihnen auch die Chance zu geben, ihr Recht auf gesellschaftliche Teilhabe grundlegend wahrnehmen zu können. Die psychologische Betreuung der Opfer muss endlich ohne Umwege, Wartezeiten und Befristungen ermöglicht werden.

 

Mindestens genauso wichtig ist eine klare Botschaft an die Betroffenen selbst, dass sie mit ihrer Problematik von den Verantwortlichen in der Politik gesehen werden und keine Opfer zweiter Klasse sind. Was die Verantwortung angeht, ist noch viel zu tun. Bis heute gibt es keine öffentliche Entschuldigung seitens der Verantwortlichen Unternehmen und des DRK. Die Opfer dieser Zeit bleiben Opfer, nicht nur durch die Bagatellisierung und die Ausgrenzung, die sie weiterhin erleben, auch durch die Ignoranz der politisch Verantwortlichen und ganz speziell durch das dröhnende Schweigen der damals verantwortlichen Pharmafirmen bzw. deren Rechtsnachfolger. Noch vor wenigen Monaten wurde Betroffenen von Politikern, Mitgliedern der jetzigen Regierung, ins Gesicht gesagt: „Andere leben auch von Hartz IV.“ Die Devise in der Politik heißt immer noch viel zu oft „Abwarten“, wenn es um menschliche Schicksale geht. Schließlich haben HIV und AIDS immer noch einen negativen Aspekt in der Gesellschaft.

 

Der dritte Bundespräsident Gustav Heinemann sagte einst: "Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den Schwächsten ihrer Glieder verfährt." Es liegt also an jedem von uns, den Wert den unsere Regierung unserer Gesellschaft beimisst zu korrigieren.

 

Der Verband der Opfer des Blutskandals e.V.

 

 



[7]www.nochleben.de

 

 

 

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