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VOB teilt Bedenken zum Triage-Gesetz

In dieser Woche will der Bundestag ein Triage-Gesetz beschließen. Es soll regeln, wer bei knappen Ressourcen im Gesundheitswesen zuerst behandelt wird und wer nicht. Nach mehreren Klagen vorm Bundesverfassungsgericht wurde vom BVG dem Gesetzgeber auferlegt, diese Situation gesetzlich zu regeln. Das Gesetz, das am Donnerstag (10.11.22) vom Bundestag beschlossen werden soll, sieht vor, dass bei einem Mangel an überlebenswichtigen intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit der Betroffenen ausschlaggebend für eine Behandlung sein soll.

 

Behindertenverbände und Behindertenbeauftragte von Bund und Ländern haben hier ernsthafte Bedenken. Wie sollen die Verantwortlichen Menschen in einer Notfallsituation diese Chancen realistisch beurteilen können? Ist es überhaupt gerechtfertigt, Menschen nach ihrer Überlebenswahrscheinlichkeit einzuteilen. Mit Blick auf die deutsche Vergangenheit kann es einen gruseln bei solchen Vorhaben.

 

Deswegen fordern die Verbände, denen wir uns hiermit anschließen wollen, eine viel breitere gesellschaftliche Diskussion und eine genaue Evaluation des Gesetzes.

Im Anschluss findest Du die Pressemitteilung des Behindertenbeauftragten der Bundesregierung:

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Pressemitteilung Nr. 16/2022

 

Beauftragter der

Bundesregierung für die

Belange von Menschen mit Behinderungen

Berlin, 9. November 2022

 

Triage-Gesetz: Bedenken beim Diskriminierungsschutz im Gesundheitswesen

 

Stellungnahme der Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern

 

Der Bundestag plant, diesen Donnerstag (10. November) ein Gesetz zu beschließen, das vor einer Benachteiligung bei der Zuteilung von überlebenswichtigen intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten schützen soll, wenn diese nicht ausreichend vorhanden sind („Triage“). Das Gesetz soll insbesondere vor einer Benachteiligung aufgrund einer Behinderung schützen und bezieht sich zudem ausschließlich auf den Fall knapp werdender Ressourcen im Fall einer übertragbaren Krankheit - wie es beispielsweise bei COVID-19 befürchtet wurde. Zu einer gesetzlichen Regelung war der Gesetzgeber am 16. Dezember 2021 vom Bundesverfassungsgericht nach einer Klage von Betroffenen aufgefordert worden.

 

Konkret sieht der Entwurf eine Regelung vor, nach der die Entscheidung über die Zuteilung von Behandlungskapazitäten nur nach der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit der betroffenen Patientinnen und Patienten getroffen werden darf. Darüber hinaus enthält der Entwurf Regelungen zum Verfahren, wie die Zuteilungsentscheidung zu treffen ist.

 

Insbesondere die Position der Bundesärztekammer führt jedoch bei den Beauftragten zu erheblichen Bedenken. Diese hatte in der Anhörung zum Gesetzesentwurf angeführt, dass die Abwägung der kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit nach medizinischen Kriterien fast unmöglich sei.

 

Jürgen Dusel dazu: „Voraussetzung für die Umsetzung des Gesetzes ist, dass Ärztinnen und Ärzte im konkreten Fall eine verlässliche Aussage darüber treffen können, welcher Patient oder welche Patientin die höhere Überlebenswahrscheinlichkeit hat. Sollte dies nicht der Fall sein, haben wir erhebliche Bedenken, ob das Gesetz, das in dieser Woche beschlossen werden soll, geeignet ist, Menschen mit Behinderungen vor Benachteiligung zu schützen. Deswegen ist es wichtig, dass die Wirkung des Gesetzes so schnell wie möglich evaluiert wird - unter Berücksichtigung rechtlicher, medizinischer und ethischer Gesichtspunkte. An dieser Evaluation müssen zwingend Menschen mit Behinderungen und ihre Interessenvertretungen beteiligt werden.“

 

Sollte sich herausstellen, dass die Regelungen des Gesetzes nicht geeignet sind, Menschen mit Behinderungen bei ärztlichen Zuteilungsentscheidungen vor Diskriminierung zu schützen, fordern die Beauftragten, dass der Gesetzgeber umgehend nachsteuert.

 

Die Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern bedauern außerdem, dass es zu diesem zentralen, auch unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt betreffenden Thema keinen breit angelegten und öffentlichen Diskurs im Deutschen Bundestag gab.

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Cornelia Michel (Mittwoch, 09 November 2022 12:28)

    Das ist wirklich bedenklich und beunruhigend. Andreas als Betroffener des Blutskandals und ich als Contergangeschädigte könnten in die Situation hinein geraten, dass Ärzte unsere Gesundheit als schon zu angegriffen einschätzen und wir nicht behandelt werden.