Vortrag von Thomas Gabel, gehalten in Basel anlässlich der GTH Tagung

Basel, 18. Februar 2017

 

Sehr verehrte Damen und Herren,

 

ich stehe hier für Michael Diederich, der hier eigentlich referieren wollte.

Leider ist er zur Zeit schwer erkrankt. Von hier meine besten Genesungswünsche an ihn.

 

Ich stehe aber auch hier für alle anderen, Hämophile oder auch nicht, die immer noch den schweren Folgen des sogenannten Blutskandals trotzen.

 

Und letztlich stehe ich hier für mich, da ich der Meinung bin, dass wir raus müssen aus dem Schatten der Anonymität, die auch dafür gesorgt hat, dass wir und unser Schicksal in Vergessenheit geraten sind.

 

Doch nun ein paar Worte zu meinem Leben:

 

Geboren wurde ich im Oktober 1967 an einem sonnigen Herbsttag in Freiburg.  Meine Eltern wussten natürlich nichts von der Bluterkrankheit.  Das erste Jahr war ich ein munteres, gesundes Kind. Dann lernte ich laufen, und es ging nicht lange, dass ich mich bei einem Sturz im Mund verletzte.  Eine kleine Wunde, die die Ärzte nähten. Es blutete jedoch weiter, wurde neu genäht und so weiter.  Meine Mutter wurde immer wieder vertröstet. In der zehnten Nacht war sie wieder mit mir in der Kinderklinik und das Schicksal wollte, dass ein ihr bisher unbekannter Arzt vorbei lief, mich sah und fragte, was mir fehle. Er nahm mich auf den Arm und ich erbrach das Blut, das ich in den letzten Stunden geschluckt hatte. Er war der einzige Arzt, der sich mit Hämophilie auskannte und das war meine Rettung. Ich hätte diese Nacht wohl nicht überlebt.  Als ich 6 Jahre alt war, erzählte uns eine Ärztin beim üblichen Besuch in der Kinderklinik zur Prophylaxe von einer neuen Methode der Heimselbstbehandlung, die das Hämophiliezentrum Bonn seit neuestem anbot. Meine Eltern nahmen Kontakt auf, und wir fuhren eine Woche nach Bonn, wo meine Mutter lernte, mich selbst zu spritzen. Fortan hatte ich eine glückliche Kindheit und Jugend, lernte mit 12 mich selbst zu spritzen und bis auf ein paar Blutungen verlief alles gut. Sicher gab es Einschränkungen im täglichen Leben, meine Mutter packte mich aber nicht in Watte. Trotz aller Vorsicht durfte ich recht frei aufwachsen.

 

Es hätte schön so weitergehen können, aber…

 

Ich war 17, es war der Sommer 1985. Ich war zur Kontrolle in Bonn. Da teilte man mir mit, dass auch ich zu den Blutern gehöre, die mit dem HI Virus angesteckt wurden.  Ich wusste nicht, was ich sagen oder denken sollte, also sagte und dachte ich erst mal nichts. In mir war erst mal eine große Leere. Schließlich war die Verkündung wie ein Todesurteil für ein Verbrechen, das man nicht begangen hatte. Später kamen die Wut und die Verzweiflung. Wie lange hatte ich noch zu leben? Ich beschloss, den wahrscheinlich kurzen Rest meines Lebens in vollen Zügen zu genießen. Dabei geriet ich fast auf die schiefe Bahn. Motorradfahren ohne Führerschein war nur ein Aspekt davon. Kaum ein Wochenende ohne Party, Alkohol in ungesunden Mengen…   Meine Eltern fanden das gar nicht gut, aber trotz allem war ich immer getragen und im Notfall aufgefangen.  Dann gab es die 60.000 DM, mit denen sich die Verursacher freikaufen wollten. Von einer Klage rieten alle ab, das Urteil würden wir eh nicht erleben. Also nehmen. Die Hälfte bekamen meine Eltern dafür, dass ich mit meinem Kamikaze-Fahrstil Mamis Auto zerlegt hatte. Die andere Hälfte gab ein tolles Auto für mich, den Rest habe ich verlebt. Offiziell hatte ich etwas geerbt, da ich zu der Zeit noch kein Coming Out hatte. 

 

1988 kam dann noch die Diagnose Hepatitis C dazu, was mir zur damaligen Zeit aber nicht viel bedeutete. HIV war die größere Bedrohung.  Nebenbei habe ich mein Abi gemacht, gerade so geschafft. Und ich fand eine Freundin, der meine Infektion nichts ausmachte. Das hielt 2 Jahre, dann ging es mit exzessivem Lebensstil weiter. Ich machte eine Ausbildung zum EDV-Kaufmann. Ein Studium dachte ich lohnt sich eh nicht.  Mit was ich zum Glück nie konfrontiert wurde, ist Ausgrenzung. Nach und nach erzählte ich Freunden von meiner Infektion. Meine Erfahrung damit war durchweg gut. Die schlechten Erlebnisse anderer Infizierter blieben mir erspart. Im Gegenteil, auch meine Freunde gaben mir stets Halt und Zuversicht.  1997 lernte ich meine heutige Frau kennen. Wir feiern Mitte März unser 20-jähriges. Die feste Beziehung und die Tatsache, dass ich immer noch am Leben war, ließ mich langsam in ruhigeres Fahrwasser kommen.

Die Medikation gegen HIV wurde immer besser, trotzdem blieben Nebenwirkungen und Folgeerkrankungen nicht aus. Hier möchte ich mich insbesondere bei meiner Infektiologin Dr. Susanne Usadel in Freiburg bedanken, bei der ich rundherum sehr gut betreut bin.  Was dann so an Folgeerkrankungen kam, löste hauptsächlich den Gedanken „Oh Mann, nicht das auch noch...“ aus.

 

2005 fiel ich in Ohnmacht, nachdem ich einige PCs getragen hatte. Ich merkte schon länger, dass ich schnell außer Atem komme, schob es aber immer auf mangelnde Kondition. Ich kam in die Notaufnahme und hatte mal wieder das unverschämte Glück, dass gerade der Arzt der pneumologischen Ambulanz, der einer der wenigen Spezialisten für PAH ist, Dienst hatte. Nach einem Herzecho stand die Diagnose Pulmonal arterielle Hypertonie. Die Bedeutung der PAH zeigte sich erst im Verlauf…   2007 erwähnte ich bei der Kontrolle der Blutwerte übermäßigen Durst. Diagnose Diabetes mellitus Typ 3, ART-bedingte Insulinresistenz.  2008 entwickelte sich ein bald blutender brauner Fleck am linken Knie. Es war ein Karposi-Sarkom, untypisch bei meinen Werten, aber nun mal da. Es wurde bestrahlt, seither ist nichts mehr in der Art aufgetreten.

 

Dass man in der Diabetes-Kontrolle in der Endokrinologie eine Knochendichtemessung machte, war wohl eher Routine. Aber man stellte eine Osteoporose fest. Mit Aclasta-Infusionen hält es sich stabil. Inzwischen ist HIV kein Schreckgespenst mehr. Die Folgen der HCV-Infektion und die Pulmonale Hypertonie sind heute lebensbedrohender als HIV. Besonders die nachlassende Leistungsfähigkeit macht mir Angst. Wie lange kann ich meinen Beruf noch voll ausüben? Eine Reduzierung auf Teilarbeitszeit ist sicher bald notwendig. Mein Arbeitgeber ist sehr sozial eingestellt und absolut verständnisvoll, was ich hoch anrechne. Aber die Fehlzeiten werden mehr und mehr, Konzentriertes Arbeiten fällt mir schwer, da mich dabei die Müdigkeit übermannt. Oft hänge ich im Halbschlaf vor dem PC. Mein Einkommen ist also alles andere als gesichert. Dies und die Tatsache, dass einen HIV-kranken Bluter keine Versicherung nimmt und keine Bank ein Darlehen für z.B. Wohneigentum gewährt, lässt schon Existenzängste aufkommen.  Ich erwarte von den Verantwortlichen für die Situation aller Betroffenen keine Entschuldigung, denn dies ist nicht zu entschuldigen. Aber ich erwarte, dass sie zu ihrer Verantwortung stehen und uns nicht im Regen stehen lassen. Eine angemessene Entschädigungszahlung, sicher bis zum Lebensende und mit der Inflation angepassten Erhöhungen, ist das Mindeste, was wir verlangen können. Dies würde uns wenigstens die Angst vor dem Leben am Existenzminimum nehmen. Die anderen Ängste kann uns keiner nehmen. Mit denen leben wir, seit wir von den Infektionen erfahren haben. Und das ist schwer genug.

 

Ich weiß, dass es mir im Vergleich zu anderen Betroffenen relativ gut geht. Ich bin überzeugt, das liegt daran, dass ich ein positiver Mensch bin. Ich hadere selten mit meinem Schicksal. Gut, manchmal kommt schon die Wut auf die Geldgier der Großen und Mächtigen durch, die ohne eine Spur von Gewissen über Leichen gehen, um ihren Gewinn zu maximieren und ihre Macht zu stärken. Hierbei ist unser Fall nur ein kleiner, weltweit betrachtet.  Sorry, ich schweife ab.

Ich bin überzeugt, es geht mir relativ gut, weil ich mich nicht mit meinen Krankheiten beschäftige. Ich weiß das wichtigste, ich tue das nötigste. Ansonsten nehme ich die Situation als gegeben und mache das beste draus. Es gibt durchaus Tage, einige, an denen ich nicht an meine Krankheiten denke. Manchmal vergesse ich dabei sogar die Medikamente, was ich jetzt hier vor der versammelten Ärzteschaft natürlich nicht gesagt habe. Und doch habe auch ich die Tage, an denen ich den Dingen nachtrauere, die ich nicht oder nicht mehr tun kann. An einem sonnigen Wintertag auf meinem Board eine tolle Abfahrt vom Matterhorn genießen, nicht mehr möglich dank der Pulmonalen Hypertonie. Ebenso wenig ein normaler Spaziergang mit Steigungen, eine Runde Inline-Skaten…Selbst Fahrrad-Fahren, nur mit E-Bike, und sogar damit sind Steigungen Horror.

 

Und dann die Angst, dass die Leber den Geist aufgibt...

 

Aber ich lebe noch. Und die Kampagne, die Lynn, sie ist heute auch hier, ursprünglich für Michael ins Leben gerufen hat, hat mich darin bestärkt, aus der Lethargie aufzuwachen und mit den anderen Betroffenen für unser Recht zu kämpfen.  

Wenn Sie uns unterstützen möchten, kann ich Ihnen unsere Seite www.blutskandal.de ans Herz legen. Zeichnen Sie unsere Petition, tragen Sie die Informationen an Ihre Kolleginnen und Kollegen weiter, nutzen Sie Ihren Einfluss für unsere Sache. Auch sind wir dringend auf Spenden angewiesen. Im Anschluss stehen wir Ihnen an unserem Stand draußen gerne für weitere Informationen und Gespräche zur Verfügung. Das Interessante an den Spenden ist natürlich, dass sie steuerlich absetzbar sind.

 

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Thomas Gabel