Armin starb so einsam…

 

Ich studierte in den 80er Jahren an einer Universität in Süddeutschland. Einer meiner Freunde an der Uni war Armin. Ich habe ihn schon als Kind kennengelernt. Wir wurde beide in der gleichen Kinderklinik wegen der Bluterkrankheit behandelt. Wir waren als Kinder zusammen auf mehreren Bluter-Freizeiten. In Bonn haben wir beide die Heimselbstbehandlung gelernt. Wir trafen uns regelmäßig, meistens alle 3 Monate, um gemeinsam nach Bonn in die Ambulanz zu fahren. So sind wir uns über die Jahre recht nahegekommen. Armin hat viel über sich und seine Familie erzählt. Er beschrieb, dass seine Familie nicht gut zurechtkam mit der Bluterkrankheit. Sie empfanden seine Behinderung als Makel. In seiner  Familie wurde kaum über die Krankheit gesprochen, sie wurde regelrecht ausgeblendet. Auch Armin hatte Phasen in denen er darüber nicht reden konnte. Am liebsten sprach er über Reisen in ferne Länder, die er später unternehmen wollte.

 

Ich habe mich sehr gefreut, als ich erfuhr, Armin würde im gleichen Studiengang wie ich und an der gleichen Uni mit dem Studium beginnen. Wir besuchten viele Vorlesungen gemeinsam und sahen uns mehrere Semester lang jeden Tag. Das brachte uns noch näher. Ich wusste, wo er seine Schwächen hatte und er kannte meine. Das war für uns beide eine gute Zeit.

 

Nach der Zwischenprüfung 1985 waren die Zeitungen dann voll von furchtbaren Nachrichten über AIDS und dass auch erste Bluter betroffen waren und starben. Angst machte sich breit, auch bei mir. Das war die Zeit in der Armin oft wochenlang nicht in die Uni kam. Er hatte Angst. Bei einer gemeinsamen Fahrt nach Bonn erzählte er mir, dass er HIV positiv war. Sein Leben, seine Träume, die Freude über das Studium, waren mit einem Mal völlig zerstört. Er hatte wie viele in dieser Zeit nur noch Angst. Er rang mir das Versprechen ab, mit niemanden über sein Schicksal zu reden. Er zog sich aus der Uni und unserem gemeinsamen Freundeskreis mehr und mehr zurück. Oft ging ich in sein Studentenwohnheim und er öffnete die Tür nicht mehr. Er kam nur noch selten in die Uni und hat mehrere Prüfungen nicht bestanden. Er musste ein Semester wiederholen. Dadurch verloren wir uns aus den Augen.

 

 Einige Monate später traf ich zufällig seine Mutter und fragte sie, wie es Armin gehe. Sie antwortete ausweichend und erzählte, er studiere jetzt in einer anderen Uni im Ruhrgebiet. Sie war kurz angebunden. Eine Adresse oder Telefonnummer könne sie mir nicht geben. Armin war einfach verschwunden.

 

1988 sah ich dann zufällig seine Todesanzeige (…nach kurzer schwerer Krankheit….im Alter von 26 Jahren!!). Seine Schwester hat mir Monate später erzählt, dass er lange um sein Leben gekämpft habe. Er sei in einem Hospiz gestorben. Allein. Ohne Freunde. Die Familie habe sich sehr zurückgezogen.

 

Obwohl das sehr lange her ist, überfällt mich beim Schreiben dieser Sätze eine stechende Traurigkeit. Warum musste das so sein? Warum mussten so viele Menschen so schrecklich einsam sterben?

Warum lebe ich noch und Armin nicht? Das Leben ist nicht gerecht.

 

Kl.